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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Logienquelle I – Eine schriftliche Quelle
• Dass kein Exemplar erhalten ist, besagt nicht, dass Q nur mündlich weitergegeben wurde. Nachdem diese Schrift in zwei
umfassendere Evangelien integriert war, konnte die selbstständige handschriftliche Überlieferung durchaus abbrechen.
• Für die schriftliche Abfassung von Q sprechen folgende Überlegungen:
– sehr weitreichende wörtliche Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk im Stoff, den sie über Mk hinaus gemeinsam haben
(z.B. Q 7,24-28).
– Die Existenz der Dubletten und Doppelüberlieferungen (s.o. §10,2.2.2) wird besser erklärt durch die Annahme einer
schriftlichen Quelle.
– Trotz der Unterschiede in der Reihenfolge des Q-Stoffes bei Mt und Lk zeigt sich ein Grundriss der Logienüberlieferung von
der Verkündigung des Täufers bis zur endzeitlichen Belehrung Jesu.
• Die Annahme verschiedener Fassungen der Logienquelle sollte nach Möglichkeit vermieden werden: Sie zieht sich leicht den
Vorwurf zu, Schwierigkeiten einer Hypothese durch neue Hypothesen zu lösen.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Logienquelle II – Umfang und Inhalt
•
Der Umfang von Q ist nicht absolut sicher zu bestimmen.
•
Dennoch kann man zu gesicherten Grundannahmen kommen. Dass Mt und Lk große Teile ihrer zweiten
Vorlage ausgelassen hätten, ist unwahrscheinlich, wenn man ihren Umgang mit dem MkEv bedenkt.
•
Der Name „Spruchquelle” deutet an: der Inhalt wird wesentlich durch Worttradition gebildet. Eine
erzählerische Struktur existiert nur in Ansätzen.
•
Q enthält keine Passions- und Ostertraditionen. Mt und Lk haben dazu kein Material, in dem sie gemeinsam
über Mk hinausgingen.
•
Die Themen lassen sich in zwei Zusammenhängen gruppieren:
 Unterweisung der Jünger (Ethik, Nachfolge, Gebet, Endzeit)
 Auseinandersetzung mit Gegnern
•
In beiden Zusammenhängen ist das Thema des Gerichts stark profiliert.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Logienquelle II – Eine Struktur von Q
A.
Johannes der Täufer und Jesus (Q3,2-7,35)
B.
Die Boten des Menschensohnes (Q9,57-11,13)
C.
Jesus im Konflikt mit dieser Generation (Q11,14-52)
D.
Die Jünger in Erwartung des Menschensohnes (Q12,2-13,21)
E.
Die Krisis Israels (Q13,24-14,23)
F.
Die Jünger in der Nachfolge Jesu (Q14,26-17,21)
G.
Das Ende (Q17,23-22,30)
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Evangelien und Apostelgeschichte
A. Johannes der Täufer und Jesus (Q3,2-7,35)
Die Botschaft des Johannes (Q3,2b-17)
Taufe und Bewährung Jesu (Q3,21f; 4,1-13)
Jesu programmatische Rede (Q4,16; 6,20-49)
Der Glaube eines Heiden an Jesu Wort (Q7,1-10)
Johannes, Jesus und die Kinder der Weisheit (Q7,18-35)
B. Die Boten des Menschensohnes (Q9,57-11,13)
Radikale Nachfolge (Q9,57-11,13)
Missionsinstruktion (Q10,2-16)
Das Geheimnis des Sohnes (Q10,21-24)
Das Gebet der Jünger (Q11,2b-4.9-13)
C. Jesus im Konflikt mit dieser Generation (Q11,14-52)
Zurückweisung des Beelzebulvorwurfs (Q11,14-26)
Die Ablehnung der Zeichenforderung (Q11,16.29-35)
Androhung des Gerichts (Q11,39-52)
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Evangelien und Apostelgeschichte
D. Die Jünger in Erwartung des Menschensohnes (Q12,2-13,21)
Bekenntnis zu Jesus ohne Furcht (Q12,2-12)
Sucht die Königsherrschaft Gottes (Q12,33f.22b-31)
Das unerwartete Kommen des Menschensohnes (Q12,39-46.49-59)
Zwei Gleichnisse von der Königsherrschaft Gottes (Q13,18-21)
E. Die Krisis Israels (Q13,24-14,23)
F. Die Jünger in der Nachfolge Jesu (Q14,26-17,21)
G. Das Ende (Q17,23-22,30)
Der Tag des Menschensohnes (Q17,23-37)
Das Gleichnis vom anvertrauten Geld (Q19,12-26)
Ihr werdet die zwölf Stämme Israels richten (Q22,28.30)
nach: Die Spruchquelle Q. Studienausgabe, Griechisch und Deutsch, herausgegeben und eingeleitet von P. Hoffmann u. C. Heil,
Darmstadt/Leuven 2002 (32009), 14f.
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Logienquelle IV – Zur Frage nach der Gattung
Die Frage, welcher literarischen Gattung die Logienquelle zugeordnet werden kann, verbindet sich meist mit weiteren
Fragestellungen.
• Ist Q vor allem von den weisheitlichen oder von den prophetisch-apokalyptischen Traditionen bestimmt? Beide Bereiche schließen
sich traditionsgeschichtlich nicht aus. Doch für die literarische Gestalt von Q hat es in der Zusammenstellung beider Bereiche kein
unmittelbares Vorbild gegeben.
• Kann man Q als Evangelium bezeichnen? Wenn für die Gruppe, die hinter Q stand, diese Schrift ihre Form der Verkündigung
von Jesus Christus war, gibt es keinen inhaltlich-theologischen Grund, dieser Sammlung den Titel „Evangelium” abzusprechen.
Dies könnte dann allein aus literarischen Gründen geschehen. Man sollte eine Spruchsammlung ohne erzählerischen Rahmen
nicht mit demselben Gattungsbegriff belegen wie das MkEv. Allerdings könnte der Begriff „Spruch-Evangelium” diesen
Unterschied einfangen.
Um Q als Spruchbiographie einordnen zu können, müsste das erzählerische Moment stärker entwickelt sein. Q ist wohl eine
literarische Gattung eigener Art.
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Logienquelle V – Trägerkreis
• Die Jesus-Überlieferung, die in Q verarbeitet ist, weist in soziologischer Hinsicht auf zwei unterschiedliche Gruppen.
– Manche Sprüche richten sich an Wanderprediger: z.B. Q9,57-60; 10,2-12; Worte zum Ethos der Heimat- und
Besitzlosigkeit.
– Andere setzen sesshafte Ortsgemeinden voraus, z.B. Q6,30; 13,18-21; 12,39.
• Wahrscheinlich haben beide Gruppen nebeneinander existiert, die „seßhaften Sympathisanten in den Ortsgemeinden
boten den Wandermissionaren eine materielle Basis, indem sie Unterkunft ... und Unterhalt ... gewährten” (U. Schnelle).
• Die Perspektive der Logienquelle ist jüdisch und sie ist ländlich. Die Trägerkreise, die hinter dieser Schrift stehen, sind in
Galiläa anzusiedeln, und zwar nicht in den Städten Sepphoris oder Tiberias.
• Q diente wahrscheinlich vorwiegend der Katechese.
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Logienquelle VI – Redaktionelle Schichtung?
• Dass die Logienquelle nicht aus einem Guss ist, wird heute meist angenommen. Die Rekonstruktion der Entstehungsstadien
ist allerdings äußerst schwierig und umstritten.
• Recht viel Zuspruch hat das Drei-Schichten-Modell John S. Kloppenborgs erfahren.
– die weisheitlichen Stoffe sind die älteste Schicht;
– sie wurde später erweitert um die Logien zur Gerichtsansage an Israel (apokalyptische Stoffe);
– am Schluss wurde die Versuchungsgeschichte angefügt (außerdem auch Q11,42c; 16,17).
• Für Dieter Lührmann ist dagegen die weisheitliche Schicht sekundär, am Ursprung stehe die Menschensohn-Christologie
und die Naherwartung.
• Auch wenn man eine mehrstufige Entstehung von Q für wahrscheinlich hält, ist die konkrete Rekonstruktion doch
notwendig spekulativ. Ob der Aufwand einer Redaktionsgeschichte der Logienquelle wirklich lohnt, scheint fraglich.
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Logienquelle VII – Zeit und Ort der Abfassung
• Eine besondere Rolle bei der Datierung von Q spielt der Spruch Q13,34f: Für Vertreter einer Spätdatierung (um 70) setzt er
die Zerstörung Jerusalems voraus oder wenigstens den Jüdisch-Römischen Krieg (66-70).
• Die Argumente für eine Frühdatierung (bei U. Schnelle, Einleitung 226) sind nicht zwingend, weisen nicht notwendig auf
eine Abfassung der frühesten Schicht in den 40er Jahren.
• Der scharfe Gegensatz zu Israel deutet eher auf die 50er Jahre, vielleicht sogar erst auf die 60er Jahre, denn im Vorfeld des
Jüdisch-Römischen Krieges könnten die Probleme zwischen Jesusbewegung und jüdischen Gruppen zugenommen haben.
• Der Grundstock von Q dürfte in Galiläa entstanden sein (s.o. zum Trägerkreis). Eine eventuell spät anzusetzende
Endredaktion wäre im südlichen Raum Syriens anzunehmen.
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Logienquelle VIII – Theologische Aspekte
Christologie
Die Bedeutung Jesu wird ohne Blick auf die Passions- und Ostertradition entfaltet. Jesus wird unter zwei Aspekten profiliert.
• Jesus ist der Lehrer, auf dessen Wortverkündigung zu hören ist.
– Er gibt Weisung zum Verhalten (Q6,27-49; Q12,22-34).
– Er sendet die Wanderprediger, die sein Wort weitertragen (Q10,2-16).
– Jesus gibt Einblick in die Endereignisse (Q12,39-13,21; 17,23-22,30).
– Die Machttaten Jesu werden vorausgesetzt, aber kaum erzählerisch inszeniert.
• Jesus ist der Menschensohn (MS), der zum Gericht kommen wird.
– Unter den drei Gruppen von MS-Worten in den Evangelien (gegenwärtig wirkender, leidender, in Zukunft kommender
MS) legt Q den Akzent eindeutig auf den zum Gericht erscheinenden MS.
– Betont wird die Zusammengehörigkeit des irdischen Jesus mit dem künftig erscheinenden Menschensohn – so auch die
Bedeutung der Botschaft Jesu.
– In der Funktion als MS-Richter wird Jesus auch in die Botschaft Johannes des Täufers eingeordnet.
• Weitere Hoheitstitel (der Sohn, Sohn Gottes) erscheinen nur am Rande, zeigen aber, dass Q eine hoheitliche Christologie
vertritt.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Heilsgeschichte
• Der „Stürmerspruch” (Q16,16) bezeugt einen heilsgeschichtlichen Einschnitt mit dem Anbruch der Gottesherrschaft.
• Das Schema „Verheißung-Erfüllung” erscheint nicht unter diesen Begriffen, wohl aber sachlich im Zusammenhang von
Schriftbezügen (Q7,22; 7,27).
• Der heilsgeschichtliche Einschnitt bedeutet keine Relativierung des Gesetzes (Q11,42; 16,17).
• Q bezeugt keine Öffnung hin auf die Heidenmission.
Eschatologie
• Durch die Christologie (MS-Richter) ist die ganze Verkündigung Jesu in Q unter eschatologisches Vorzeichen gesetzt. Auch
die Jesusnachfolger betrifft die Mahnung des Gerichts (z.B. Q6,46-49; 12,8f; 12,42-46).
• An den Endereignissen wird betont ihre Unvorhersehbarkeit (Q12,42-46), die Sicherheit ihres Eintreffens (Q17,26f), die
Sichtbarkeit (Q17,23f).
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Evangelien und Apostelgeschichte
Probleme der Zwei-Quellen-Theorie
Mk-Sondergut
Mk 2,27:
Mk 3,20f:
Mk 4,26-29:
Mk 7,31-37:
Mk 8,22-26:
Mk 9,48:
Mk 9,49:
Mk 14,51f:
Mk 15,44:
Sabbatlogion
Das Urteil der Verwandten über Jesus
Das Gleichnis von der selbst wachsenden Saat
Heilung eines Taubstummen
Heilung eines Blinden
Angehängtes Zitat aus Jes 66,24
Wort vom Salz
Notiz vom nackt fliehenden Jüngling
Verwunderung des Pilatus über den raschen Tod Jesu
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Evangelien und Apostelgeschichte
Die „lukanische Lücke”
Lukas lässt Mk 6,45-8,26 am Stück aus.
• Erklärbar ist die Auslassung von
- Mk 7,1-23 (s. Apg 10)
- Mk 7,31-37 und 8,22-26 (christologisch anstößig)
- Mk 8,1-10 (Doppelung zu Mk 6,32-44)
- Mk 8,11-13 (in Lk 11,16 aufgegriffen?; Doppelung zu Lk 11,29-32)
- Mk 8,14-21(kein Konflikt mit pharisäisch geprägtem Judentum)
• Bleibendes Problem: Auslassung von Mk 6,45-52 (Seewandel und Summarium)
„Minor agreements”
Übereinstimmungen zwischen Lk und Mt gegen Mk:
• negativ: dieselben Auslassungen
• positiv: gemeinsam andere Formulierung als Mk, Wörter über Mk hinaus >
>
>
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Evangelien und Apostelgeschichte
Alternativmodelle zur Zwei-Quellen-Theorie
Unter Voraussetzung der Mk-Priorität
• Deutero-Markus: Mt und Lk sind abhängig von einem überarbeiteten und stark erweiterten MkEv.
• Mt benutzt das MkEv, Lk benutzt das Mk- und das MtEv
• Lk benutzt das MkEv, Mt benutzt das Mk- und das LkEv
Neo-Griesbach-Hypothese (Two Gospels Hypothesis)
Lk benutzt das MtEv, Mk benutzt das Mt- und das LkEv
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Evangelien und Apostelgeschichte
Deutero-Markus
Mt und Lk sind abhängig von einem überarbeiteten und
stark erweiterten MkEv.
Vorteile:
• Erklärung des Stoffes der Doppeltradition
• Erklärung der minor agreements
Problem:
• Welcher Plan steht hinter der Überarbeitung des MkEv?
• Deutero-Mk ist nicht weniger hypothetisch als Q.
• Warum ist Deutero-Mk aus der handschriftl. Überlieferung
verschwunden, obwohl er doch dem Mt- und LkEv viel ähnlicher
gewesen sein müsste, also der Tendenz nach Harmonisierung
entgegenkam?
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Evangelien und Apostelgeschichte
Mk – Mt – Lk
Mt benutzt Mk, Lk benutzt Mt und Mk.
Vorteile:
• Keine hypothetische Größe wird vorausgesetzt.
• Erklärung der minor agreements
Probleme:
• Warum gibt es außer den minor agreements keine
Spuren der Verwendung des MtEv bei der Bearbeitung
des Mk-Stoffes?
• Ist ein überzeugender Plan bei der Zerschlagung der mt
Redekomplexe zu erkennen?
• Warum ist der Einfluss des MtEv in
Kindheitsgeschichten und Ostertraditionen so gering?
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Mk – Lk – Mt
Lk benutzt Mk, Mt benutzt Lk und Mk.
Vorteile:
• Keine hypothetische Größe wird vorausgesetzt.
• Erklärung der minor agreements
Probleme:
• Warum gibt es außer den minor agreements keine
Spuren der Verwendung des LkEv bei der Bearbeitung
des Mk-Stoffes?
• Warum hat Mt so viel Stoff von Lk ausgelassen, während
er Mk fast umfassend verarbeitet?
• Warum ist der Einfluss des LkEv in Kindheitsgeschichten
und Ostertraditionen so gering?
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Mt – Lk – Mk
Lk benutzt Mt, Mk benutzt Mt und Lk.
Vorteile:
• Keine hypothetische Größe wird vorausgesetzt.
• Einzelne Textstellen könnten als Verbindung von Mt und
Lk erklärt werden.
Probleme
• Warum sollte Mk so viel Stoff nicht übernommen haben
(Doppeltradition Mt/Lk, Sondergut)?
• Warum sollte er seine Vorlagen sprachlich verschlechtert
haben?
• Die minor agreements sind ein noch größeres Problem als
für die Zwei-Quellen-Theorie. >
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Die literarische Gattung „Evangelium”
Zum Begriff „Evangelium”
• Zunächst bezeichnete „Evangelium” eine mündlich ausgerichtete Botschaft, inhaltlich bestimmt durch Tod und Auferweckung
Christi.
• Die Frage nach den Wurzeln des Begriffs wird zweifach beantwortet:
– Im Alten Testament begegnet in theologischer Bedeutung nur das Verb (Jes 52,7; 60,6; 61,1 bezogen auf die Ansage das
endzeitlichen Heils).
– Der hellenistische Kaiserkult kennt auch das Substantiv im religiösen Sinn (allerdings im Plural): Nachrichten im
Zusammenhang mit dem Kaiser (sein Geburtstag, die Beendigung eines Krieges, seine Thronbesteigung u.a.m). Mit den
„guten Nachrichten” verbindet sich für die Bevölkerung Rettung, die Ankündigung einer neuen Heilszeit. >
Eine perfekte sprachliche Parallele ergibt sich in keiner der beiden Herleitungen. Sie müssen sich auch nicht gegenseitig
ausschließen.
• Mk hat als erster den Begriff Evangelium erweitert auf das Erzählen von Jesu Worten und Taten (Mk 1,1). Das Wirken Jesu ist
Teil des Evangeliums, nicht nur sein Tod und seine Auferstehung. Damit hat Markus eine Gattung geschaffen, in der
Heilsgeschichte erzählt wird.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Zur Frage nach der Gattung der Evangelien
• Die frühere Forschung hatte die Evangelien als analogielose Schöpfung des Urchristentums eingestuft.
• Heute erkennt man vor allem zwei Gattungen als mögliche Analogien:
– Die atl Idealbiographien von Königen und Propheten – nicht als eigene Werke bezeugt, sondern in größeren
Zusammenhängen enthalten.
– Hellenistische Biographien, vor allem die Philosophenviten, aber auch die Biographien von Königen und Herrschern.
• Da antiken Biographien keine feste Formgesetzlichkeit zugrunde liegt, muss man, um die Gestalt der Evangelien zu erklären,
auch die besonderen Bedingungen der Jesusüberlieferung beachten. Prägend könnte vor allem die Passionsgeschichte gewesen
sein.
• Auch wenn Unterschiede zwischen den antiken Biographien und den Evangelien bleiben: Deren Adressaten konnten diese neue
Gattung in Verbindung bringen mit Literaturformen, die ihnen vertraut waren.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Das Markusevangelium I – Aufbau
Prolog: Vorbereitung des Wirkens Jesu (1,1-13)
1,1-8:
1,9-13:
Auftreten und Verkündigung des Täufers
Taufe Jesu, Offenbarung vom Himmel her, Aufenthalt in der Wüste
1. Teil: Jesu Wirksamkeit in Galiläa und Umgebung (1,14-8,26)
1,14-45:
2,1-3,6:
3,7-6,6a:
6,6b-8,26:
Anfang des Wirkens in Kapharnaum und Umgebung
Die „galiläischen Streitgespräche”
Zulauf, Konflikte, Verkündigung in Wort und Tat
Ausweitung des Wirkens Jesu in Galiläa und über Galiläa hinaus
2. Teil: Jüngerbelehrung auf dem Weg zur Passion (8,27-10,52)
8,27-9,1:
9,2-50:
10,1-52:
Messiasbekenntnis, 1. Leidensankündigung, Belehrung
Verklärung, Exorzismus, 2. Leidensankündigung, Belehrung
Aufbruch nach Judäa, Streitgespräch, Belehrung, 3. Leidensankündigung,
Belehrung, Blindenheilung
3. Teil: Jesus in Jerusalem: Wirken, Passion und Auferweckungsverkündigung (11,1-16,8)
11,1-12,44:
13,1-37:
14,1-16,8:
Öffentliches Wirken in Jerusalem
Die Endzeitrede an die Jünger
Passion Jesu und Auferweckungsverkündigung im leeren Grab
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Evangelien und Apostelgeschichte
Das Markusevangelium II
Verfasser und Adressaten
• Nach altkirchlichem Zeugnis (Papias) ist Markus, Dolmetscher des Petrus, Autor des MkEv. Aber:
- Das MkEv zeigt sich nicht besonders geprägt durch die Gestalt des Petrus.
- Wenn die altkirchliche Überlieferung das MkEv mit Petrus in Verbindung bringen wollte, könnte der Name aus 1Petr 5,13
abgeleitet sein („mein Sohn Markus” bei Petrus in Rom).
- Der in der Apg erwähnte Johannes Markus, ein aus Jerusalem stammender Judenchrist, kann nicht der Verfasser sein. Das
MkEv ist nicht vertraut mit der Geographie Palästinas (vgl. Mk 7,31; 5,1-20; 11,1).
• Der Verfasser des MkEv ist ein namentlich nicht bekannter Christ der zweiten Generation. Er richtet sein Werk an
- Heidenchristen. Jüdische Sitten werden erklärt (7,2-4; 14,12) und aramäische Ausdrücke ins Griechische übersetzt (5,41; 7,11.34;
10,46; 14,36; 15,22.34). Das Evangelium ist universal auf die Heidenmission ausgerichtet (Mk 13,10; 14,9). >
- Ein judenchristliches Element unter den Adressaten ist zwar nicht auszuschließen (Fragen um das Gesetz sind aufgenommen),
kann aber nicht bestimmend gewesen sein.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Zeit und Ort der Abfassung
• Meist wird das MkEv „um 70” angesetzt. Strittig ist, ob das Werk noch während des Jüdisch-Römischen Krieges (66-70)
entstanden ist oder erst nach der Zerstörung des Tempels (70). >
• Eine gattungskritische Beobachtung spricht für die Abfassung kurz nach 70: Fragen wie die der Jünger in Mk 13,4 gehören in
der apokalyptischen Literatur in den Zusammenhang einer enttäuschten Enderwartung, die im Fall des MkEv an das Kriegsende
geknüpft gewesen sein muss. >
• Traditionell wurde, im Zusammenhang mit der Zuschreibung an den Dolmetscher des Petrus, das MkEv in Rom lokalisiert.
Dies lässt sich aus dem Werk weder beweisen noch widerlegen. Das MkEv ist außerhalb Palästinas im hellenistischen
Christentum entstanden: in Syrien, Kleinasien, Rom oder an einem anderen Ort.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Markusevangelium III – Mk als Schriftsteller und Theologe
Die besondere literarische Leistung des Mk besteht zunächst einmal darin, die Gattung „Evangelium” überhaupt geschaffen zu haben. Dabei
hat er nicht einfach naiv Überlieferungen von Jesus gesammelt und aneinandergereiht, sondern war auch als Schriftsteller und Theologe
tätig. Dies lässt sich in folgenden Punkten entfalten:
• Ortsangaben
haben oft typologische Bedeutung, sie erscheinen in Verbindung mit einem bestimmten Handeln Jesu:
– eine besondere Aktion findet „auf dem/einem Berg” statt (3,13; 9,2);
– „der See” steht im Zusammenhang des öffentlichen Wirkens und Lehrens Jesu (2,13; 4,1; 3,7; 5,21);
– „das Haus” ist Ort der Jüngerbelehrung (7,17; 9,28; 9,33; 10,10).
• „Schachteltechnik”
In eine Erzählung wird eine zweite eingeschoben, nach deren Abschluss der Faden der ersten wieder aufgenommen wird (z.B. 3,20-35; 5,2143; 14,53-72).
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
• Geographische Gliederung
Hier zeigt sich eine Zweiteilung: Galiläa und Jerusalem stehen sich gegenüber. Dabei wird die bekannte heilsgeschichtliche Bewertung
umgekehrt.
– Das halbheidnische Galiläa (und seine heidnische Umgebung) ist der bevorzugte Ort des Wirkens Jesu, hier erfährt Jesus
Zustimmung (3,7), hier werden die Jünger, speziell die Zwölf, berufen. Galiläa ist auch Ausgangspunkt der Christusverkündigung
(16,7).
– Jerusalem steht von vornherein unter negativem Vorzeichen. Es ist nicht nur der Ort, an dem Jesus Ablehnung erfährt, die
schließlich zum Todesurteil und zur Hinrichtung führt (Kapp. 11ff). Auch im Rahmen der galiläischen Wirksamkeit weist das
Stichwort „Jerusalem” auf Gegnerschaft zu Jesus (3,22; 7,1; s.a. 10,33).
So akzentuiert die Gegenüberstellung von Galiläa und Jerusalem die Passion Jesu (s.a. zur mk Kreuzestheologie).
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Evangelien und Apostelgeschichte
Das Markusevangelium IV – Kreuzestheologie
Ausdrückliche Verweise auf die Passion
• Der frühe Todesbeschluss Mk 3,6 nach einer Reihe von Streitgesprächen.
• Die Leidensankündigungen nach dem Messiasbekenntnis (8,31; 9,31; 10,32-34).
Das „Messiasgeheimnis”
Die grundsätzliche theologische Aussage, die sich mit der Rede vom „Messiasgeheimnis” verbindet, kann folgendermaßen umschrieben
werden:
 Die eigentliche Würde und Bedeutung Jesu darf nicht
offenbar werden bis zu Tod und Auferstehung,
denn erst vom Kreuz her kann Jesus angemessen
verstanden werden.
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Evangelien und Apostelgeschichte
Die einzelnen Elemente, durch die diese theologische Aussage des Messiasgeheimnisses erreicht wird:
• Schweigegebote an
- Geheilte und Zeugen einer Heilung (z.B. 1,44; 5,43)
- Dämonen (z.B. 1,34; 3,11)
- Jünger (8,30; 9,9) – mit dem Schlüssel zum Verständnis der Schweigegebote >
• Jüngerunverständnis
Jesus kann nur recht verstanden werden von der Betrachtung seines ganzen Weges. Deshalb verstehen die Jünger nicht, die diesen
Weg noch nicht bis zum Ende mitgegangen sind (z.B. 4,40; 8,17-21; 9,10). >
• Spannungsbogen der Offenbarung Jesu als Sohn Gottes
- Nach der Taufe (1,11)
- Bei der Verklärung (9,7)
- Unter dem Kreuz (15,39) >
Die Leser erfahren schon früh von der wahren Bedeutung Jesu, zugleich aber davon, dass diese Bedeutung nicht bekannt werden soll
(durch die Schweigegebote). Erst nach seinem Tod kann Jesus offen als Sohn Gottes bekannt werden: Das Bekenntnis des römischen
Hauptmanns unterliegt keinem Schweigegebot mehr.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Markusevangelium V
Jünger – Glauben – universale Ausrichtung
Die Jünger
• Sie erscheinen nicht nur unter dem negativen Aspekt des Unverständnisses, sondern auch als diejenigen, die in die Nähe Jesu gerufen
werden.
 Dies gilt in besonderer Weise für die Zwölf (3,13-19; 6,7-13; 14,17-50) und den
Kreis von drei bzw. vier eigens
herausgehobenen Jüngern: Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas (1,16-20; 5,37; 9,2; 13,3; 14,33).
Gerade die besonders Ausgezeichneten sind aber auch die besonders Gefährdeten (8,32f; 10,35-45; 14,37f.40.41.66-72).
• Die Jünger sind nicht nur Größen der Vergangenheit, sondern auch Typen der Glaubenden, die in denselben Gefährdungen stehen wie
die Jünger, vor allem im Blick auf das Unverständnis dem Leidensgeschick Jesu gegenüber.
 Vor allem im mittleren Teil (8,27-10,52) sind die Stoffe entfaltet, die besonders auf die Adressaten des Werks zielen (M. Ebner).
– Dass hier das rechte Verständnis des Weges Jesu und der Nachfolge eröffnet
werden sollen,
zeigen die beiden (metaphorisch zu deutenden) Blindenheilungen,
die diesen Teil rahmen (8,2226; 10,46-52). Es sollen die Augen geöffnet
werden für die Kreuzesnachfolge (10,52).
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
– Im Aufbau zeigt sich ein wiederkehrendes Schema, das zwar nicht alle Inhalte
erfasst, aber den Mittelteil doch entscheidend prägt:
Leidensankündigung / Unverständnis der Jünger / Belehrung zur Nachfolge (8,3138; 9,31-37; 10,32-45).
– Außerdem kann die Belehrung Jesu an einer bestimmten Szene anknüpfen:
Verklärung (9,2-10); Dämonenaustreibung (9,14-27); Streitgespräch um die
Ehescheidung (10,2-9); verweigerte Nachfolge (10,17-22).
Glaube
Wenn ausdrücklich vom Glauben die Rede ist, hat Mk sicher auch die Adressaten unmittelbar im Blick. Dieses Thema erscheint in mehreren
Zusammenhängen:
• in der Zusammenfassung der Botschaft Jesu (1,15);
• negativ in der Verweigerung Jesus gegenüber (3,5; 6,6, auch 3,22-30; 8,11-13);
• positiv im Glaubensaufruf (9,23; 11,20-25) und dem Glauben, auf den Jesus trifft (2,5;
5,34; 10,52).
Universale Ausrichtung
Sie zeigt sich in ausdrücklichen Ankündigungen: das Evangelium wird „allen Völkern“ (13,10) bzw. „auf der ganzen Welt“ (14,9) verkündet
werden. Auch erzählerisch wird diese Ausrichtung umgesetzt: Heilung einer Heidin (7,24-30); Tempel als Bethaus für alle Völker (11,17);
heidnischer Hauptmann mit Gottessohn-Bekenntnis (15,39).
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Das Markusevangelium VI – Anlass und Zweck
• Markus lebt in einer Zeit, in der die Augenzeugen Jesu sowie insgesamt die erste christliche Generation aussterben. Die Tradition
wird durch Verschriftlichung bewahrt.
• Der besondere inhaltliche Akzent, die Ausrichtung des Weges Jesu auf das Kreuz, könnte dafür sprechen, dass Mk einer Gefahr
entgegensteuern wollte: Jesus einseitig als den Verherrlichten zu sehen und darüber seine Niedrigkeit zu vergessen.
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Das Markusevangelium VII – Der Schluss
Das MkEv endete ursprünglich in 16,8. Dafür sprechen mehrere Beobachtungen:
• Die besten Handschriften (außerdem einige Kirchenväter) bezeugen einen Text, der nur bis zu dieser Stelle reicht.
• Mt und Lk haben Mk nur bis zu 16,8 gekannt. Danach verarbeiten sie eigenes Material oder Sondertraditionen.
• Was in den Handschriften als Fortsetzung von 16,8 begegnet, kann nicht ursprünglich sein.
– 16,9-20, der „kanonische Mk-Schluss”, setzt neu ein mit der Auferstehung Jesu am Morgen des ersten Tages der Woche und der Erscheinung
vor Maria Magdalena. Es wird nicht die 16,7 angekündigte Erscheinung erzählt, sondern die Ostertradition aus den anderen Evangelien
zusammengefasst.
– Ein kurzer Mk-Schluss ist in vielen Handschriften mit dem langen (16,9-20) verbunden.
– Das Freer-Logion (Einfügung zwischen 16,14 und 16,15) bestätigt die Unsicherheit der Textüberlieferung.
Die erhaltenen Mk-Schlüsse haben keinen anderen ersetzt, der verloren gegangen wäre. 16,8 ist der originale Schluss. Mk lässt so sein Evangelium
offen enden und in die Welt der Leser oder Hörer münden.
67
67
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium I – Aufbau und Inhalt
I
Herkunft und Vorbereitung des Wirkens Jesu (1,1-4,22)
II
Die „Werke des Christus“ in Wort und Tat (4,23-11,30)
III
Jesu Wirken zwischen Annahme und Ablehnung (12,1-16,12)
IV
Jüngerbelehrung auf dem Weg von Caesarea Philippi nach Jerusalem
V
Das Wirken Jesu in Jerusalem (21,1-25,46)
VI
Passion und Ostern (26,1-28,20)
(16,13-20,34)
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68
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
I Herkunft und Vorbereitung des Wirkens Jesu (1,1-4,22)
1,1-17:
Stammbaum Jesu
1,18-2,23:
Geistgewirkte Empfängnis, Ereignisse nach der Geburt Jesu
3,1-4,22:
Vorbereitung des Wirkens Jesu: Auftreten des Täufers, Taufe Jesu, Versuchung, Umzug nach Kapharnaum,
Zusammenfassung der ersten Verkündigung und Jüngerberufung
II Die „Werke des Christus“ in Wort und Tat (4,23-11,30)
4,23-25:
Summarische Notiz über das Wirken Jesu
5,1-7,28:
Die Bergpredigt
8,1-9,35:
Der Wunderzyklus
9,36-10,4:
Berufung der Zwölf
10,5-11,1:
Aussendungsrede
11,2-30:
Christologische Zwischenbilanz
III Jesu Wirken zwischen Annahme und Ablehnung (12,1-16,12)
12,1-50:
Auseinandersetzungen mit den Pharisäern; Jesu wahre Familie
13,1-52:
Die Gleichnisrede
13,53-16,12:
Auseinandersetzungen, Wunderwirken, Jüngerbelehrung
69
69
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
IV Jüngerbelehrung auf dem Weg nach Jerusalem (16,13-20,34)
16,13-17,27:
Messiasbekenntnis des Petrus, Belehrung der Jünger, Verklärung Jesu
18,1-35:
Die Gemeinderede
19,1-20,34:
Belehrung der Jünger auf dem Weg nach Jerusalem
V Das Wirken Jesu in Jerusalem (21,1-25,46)
21,1-22,46:
Einzug in Jerusalem, Auseinandersetzungen
23,1-39:
Die Rede gegen die Pharisäer
24,1-25,46:
Die Endzeitrede
VI Passion und Ostern (26,1-28,20)
26,1-27,66:
Jesu Leiden, Tod und Begräbnis
28,1-10:
Auferweckungsverkündigung im leeren Grab und Erscheinung vor den Frauen
28,11-15:
Der Betrug der Hohenpriester
28,16-20
Erscheinung des Auferstandenen in Galiläa
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70
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium II – Verfasser und Adressaten
Die altkirchliche Tradition hat das erste Evangelium im Kanon dem Apostel Matthäus zugeschrieben. Das Zeugnis des Papias nach Euseb., hist.
eccl. III 39,16:
Matthäus nun hat in hebräischem Stil die
Matthäus hat in hebräischer Sprache die
Worte (über den Herrn) in literarische Form Reden zusammengestellt; ein jeder aber
gebracht. Es stellte sie ein jeder so dar, wie übersetzte dieselben, so gut er konnte.
er dazu in der Lage war.
(so der Vorschlag von J. Kürzinger)


(so die überwiegend vertretene Deutung)
Sagt Papias, es habe ein aramäisches MtEv gegeben, und ist das kanonische MtEv dann eine der erwähnten Übersetzungen (rechte Spalte)?
Oder ist Papias so zu verstehen, dass das MtEv von Anfang in Griechisch abgefasst sei – unter dem Einfluss semitischen Stils (linke Spalte)?
Sind die erwähnten „Worte” bzw. „Reden” nicht auf das MtEv, sondern auf eine Spruchsammlung gemünzt (etwa Q)?

Aber: Papias trifft eine Aussage über das kanonische MtEv und behauptet eine hebräische Urfassung durch den Apostel
Matthäus.
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71
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
• Gegen diese Tradition spricht: Das MtEv ist abhängig von schriftlichen Quellen (vs. Augenzeugenschaft), und zwar von griechischen
Quellen (vs. aramäische Urfassung).
• Mt 9,9 (Berufung des Matthäus, nicht des Levi) und 10,3 (Zöllner Matthäus in der Zwölferliste) sind keine Hinweise auf den Verfasser
des Evangeliums.
• Verfasser und Adressaten stammen aus dem Judenchristentum. Darauf deutet die Vertrautheit mit dem AT und der jüdischen Tradition,
z.B.:
– 19,3: Kenntnis der pharisäisch-rabbinischen Diskussion.
– Jüdische Sitten und Gebräuche werden genannt, ohne erklärt zu werden (23,5.27f), in 15,1ff/Mk 7,3f ist eine bei Mk zu findende
Erklärung ausgelassen.
– Prinzipielle Auseinandersetzung mit der Tora (5,17ff).
• Dieses Judenchristentum ist für die universale Mission offen. Das zeigt (neben 8,5-13) vor allem der Schluss des MtEv (28,19).
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72
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium III – Zeit und Ort der Abfassung
• Da das MkEv als Quelle verarbeitet ist, muss Mt nach 70 entstanden sein.
• Dies wird bestätigt durch Beobachtungen am Werk selbst:
– In das Gleichnis vom großen Gastmahl bringt Mt eine Anspielung auf das Ende des Jüdisch-Römischen Krieges ein (22,7).
– Es zeigt sich insofern eine gewisse Institutionalisierung der Kirche, als die Disziplinarmaßnahmen geregelt sind (s. 18,15-18).
• Da das MkEv eine gewisse Zeit zur Verbreitung benötigt haben dürfte, wird man mindestens in die Jahre zwischen 80 und 90
gehen.
• Der Abfassungsort liegt wohl im palästinisch-syrischen Grenzgebiet. Die Mischung aus judenchristlichen und heidenchristlichen
Elementen mit dem Übergewicht auf dem ersten Bereich ist in den 80er Jahren nur noch für den Grenzraum Palästinas zu
vermuten.
• Da die Ortsangabe in 4,24 nicht durch den literarischen Kontext begründet ist, kann man auch an Syrien als Abfassungsort denken.
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73
Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium IV – Literarischer Charakter
Übernahme des Mk-Rahmens
• Mt folgt ab 12,1 dem Mk-Rahmen, davor hat er stärker in die Stoffanordnung eingegriffen, wenngleich er sich auch hier bisweilen an Markus
orientiert (s. z.B. die Einordnung der Bergpredigt nach Mk 1,21f).
• Mt übernimmt (und verstärkt z.T.) die Gegenüberstellung von Galiläa und Jerusalem; ebenso die „theologische Topographie“ (v.a. „der Berg“).
Systematisierung des Stoffes
• Wenn Mt den Mk-Faden verlässt, zeigt sich ein Hang zur Systematisierung des Stoffes, v.a. in den Reden:
1. Bergpredigt (Mt 5-7)
Anknüpfung an Q, Sondergut, kaum Mk-Stoff
2. Aussendungsrede (Mt 10)
Stoffe aus Mk und Q sowie Sondergut
3. Gleichnisrede (Mt 13)
Anknüpfung an Mk 4, dazu ein Gleichnis aus Q und
allem Sondergut
4. Gemeinderede (Mt 18)
Stoffe aus Mk und Q sowie Sondergut
5. Pharisäerrede (Mt 23)
Stoffe aus Mk und Q sowie Sondergut
6. Endzeitrede (Mt 24f)
Anknüpfung an Mk 13, dazu Stoffe aus Q und Sondergut
vor
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Hält man sich streng an das Erscheinen der Abschlusswendung („und es geschah, als Jesus diese Worte beendet hatte ...“), wird die
Pharisäerrede allerdings von den übrigen Reden abgesetzt: sie weist diese Wendung nicht auf.
• Die Berufung der Zwölf wird direkt vor der Aussendung erzählt (10,1-3) / Erzählstoff wird im Wunderzyklus (Kapp. 8f) gebündelt.
Verknüpfung einzelner Stücke
Dies geschieht durch Zeitanschluss (z.B. 13,1; vgl. Mk 4,1), Ortsanschluss (z.B. 12,9; vgl. Mk 3,1) oder Geschehensanschluss (z.B. 8,18).
Der Vorrang der Worte Jesu vor den Taten
• Die Abfolge von Bergpredigt (Wort) und Wunderzyklus (Tat), durch die Inklusion 4,23/9,35 zusammengebunden, ordnet das Wort vor.
• In den Wundergeschichten kürzt Mt erzählerische Elemente, so dass das Wort Jesu deutlicher hervortritt. >
• Eine Wunderkritik ist mit dieser Zuordnung nicht verbunden.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium V – Christologie
Die Besonderheiten der mt Christologie lassen sich durch Diskussion zweier Hoheitstitel erfassen, in denen sich die Spannung zwischen
Sendung zu Israel und weltweiter Mission spiegelt.
• Als Sohn Davids ist Jesus mit der Heilshoffnung Israels verbunden: Er ist der verheißene Heilbringer, der Messias/Christus, der
König Israels.
• Als Sohn Gottes kommt ihm universale Macht zu.
Sohn Davids
• Das besondere Interesse an diesem Titel zeigt sich an der Aufnahme in den ersten Satz des Werks (1,1) wie auch in der gehäuften
Verwendung im eigentlichen Erzählfaden (9,27; 12,23; 15,22; 20,30.31; 21,9; 21,15; 22,42.45).
• Da sich die Bezeichnung Jesu als Davidssohn überwiegend im Zusammenhang von Heilungen findet, könnte eine Traditionslinie
aufgenommen sein, die sich vor allem an Salomo heftete. Ihm wurde in jüdischer Tradition Kenntnis von heilenden Pflanzen und
Fähigkeit zur Dämonenaustreibung zugeschrieben. Diese nicht-messianische Traditionslinie wäre im MtEv mit der messianischen
verbunden, die auf die Abstammung des Messias von David abhob.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
• Im Erzählgang des MtEv wird die Rede vom Davidssohn folgendermaßen eingebracht:
– Durch den Stammbaum werden die Leser noch vor Beginn der eigentlichen Erzählung auf die Davidssohnschaft hingewiesen.
– Jesus wird als Sohn Davids um Heilung gebeten.
– Die Scharen reagieren auf das Wirken Jesu zunächst verhalten (12,23), dann ausdrücklich mit dem Bekenntnis zu Jesus als Sohn
Davids (21,9.15). Die Pharisäer und die Hierarchen in Jerusalem lehnen die Davidssohnschaft Jesu ab (12,24; 21,15f). >
Sohn Gottes
Auf drei Ebenen wird die Bedeutung Jesu als Sohn Gottes entfaltet:
• Kommunikation zwischen Autor und Leser
– Zunächst wird durch die geistgewirkte Empfängnis Jesus als Sohn Gottes erzählerisch dargestellt, ohne den Titel „Sohn Gottes“ zu
verwenden (1,18-25). Titular aufgegriffen wird dies in 2,15.
– Die Himmelsstimme nach der Taufe Jesu (3,17) hat keine Adressaten auf der Erzählebene, zielt also auf die Leser.
– In der Versuchungsgeschichte werden allein die Leser Zeugen, wie Jesus seine Gottessohnschaft bewährt.
– Das Bekenntnis der Dämonen in 8,29 ist außerhalb des eigentlichen Wirkungsgebiets angesiedelt und bleibt in der Erzählung folgenlos.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
• Jüngerkreis
– Bei der Redaktion von Seewandelgeschichte und Messiasbekenntnis hat Mt den Gottessohn-Titel eingebracht (14,33; 16,16).
– Die Himmelsstimme in 3,17 und 17,5 hat Mt aneinander angeglichen. Was zunächst dem Leser mitgeteilt wurde, wird nun auf der
Erzählebene den Jüngern gesagt – und weitergeführt („hört auf ihn“): Es genügt nicht, um die Gottessohnschaft Jesu zu wissen; es gilt auch
das zu beachten, was Jesus den Jüngern sagt. >
• Passion
– Erstmals im Verhör vor dem Hohen Rat wird die Gottessohnwürde Jesu öffentlich verhandelt. Von ihr kann nur gesprochen werden, wenn
auch von Jesu Passion gesprochen wird (s. Mk).
– Mt fügt in die Antwort Jesu (26,64) „von jetzt an“ ein (>). Wahrscheinlich hat er den Vorgang der Inthronisation, der Einsetzung in göttliche
Macht im Blick, die „jetzt“, in dem durch das Verhör mit seinem Schuldspruch initiierten Tod Jesu, geschieht (s.a. 27,51-54).
– Deshalb bringt er den Gottessohn-Titel, über Mk hinausgehend, in die Verspottungsszenen ein (27,40.42). Was die Spottenden verlangt
haben, ein Eintreten Gottes für seinen Sohn, geschieht nicht in der Bewahrung vor dem Kreuzestod, sondern im Tod am Kreuz.
Es zeigt sich eine Dynamik in der Gottessohn-Christologie: Jesus ist Sohn Gottes von Anfang an, dies wird aber erst im Kreis der Jünger bekannt,
ehe es im Verhältnis zu den Gegnern eine Rolle spielt und auf den Tod zugespitzt wird.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium VI – Die Erfüllungszitate
Begebenheiten aus dem Leben Jesu werden als Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen gedeutet. Eingeleitet werden Erfüllungszitate mit
der stereotypen Formel (in Details variabel)
„(Dies ist geschehen), damit sich erfüllt, was gesagt ist durch den/die
Propheten ...”,
es folgt das Zitat der entsprechenden Stelle aus dem Alten Testament.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
1,22f: Geistgewirkte Empfängnis des Retters
2,15:
Flucht nach, Aufenthalt in und Rückkehr aus Ägypten
2,17f: Kindermord in Bethlehem
2,23:
Wohnungnahme Josefs in Nazareth
4,14-16:Umzug Jesu nach Kapharnaum
8,17:
Krankenheilungen
12,17-21:
Verbot an Geheilte, Jesus bekannt zu machen
13,35: Verkündigung in Gleichnissen
21,4:
Einzug Jesu in Jerusalem
27,9f: Kauf eines Ackers für das Begräbnis von Fremden mit den dreißig
Silberlingen des Judas
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Erfüllungszitate entfalten grundlegend die Bedeutung Jesu Christi
• durch Bezug auf wichtige Hoheitstitel
Immanuel (1,22f); Sohn Gottes (2,15); König Israels (21,4f)
• durch Häufung in der „Vorgeschichte”
fünf der zehn Zitate in Mt 1f: das Leben Jesu entspricht von Anfang an dem Willen Gottes.
Erfüllungszitate interpretieren zwei Charakteristika des Wirkens Jesu
• das heilende Wunderwirken (8,17)
• die Verkündigung in Gleichnissen (13,35)
Erfüllungszitate klären den universalen Sinn der Sendung Jesu
• im Rahmen des Umzugs Jesu nach Kapharnaum (4,14-16)
• zur Deutung der Schweigegebote an Geheilte (12,17-21)
Ein Erfüllungszitat erscheint im Rahmen der Passion, zum Ende des Judas (27,9f)
80
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium VII – Ekklesiologie
Das Bild von Glaubenden und Gemeinde
Dass die Darstellung der Jünger im MtEv transparent ist für die Glaubenden zur Zeit des Evangelisten, kann man an mehreren
Beobachtungen festmachen:
• In der Gemeinderede Kap. 18 ist deutlich die Situation der sesshaften Ortsgemeinde gespiegelt (v.a. 18,15-20).
• In 23,10 spricht Jesus von Christus wie von einer anderen Person: eine für die Gemeinde aktuelle Frage wird mit Blick auf Christus
besprochen.
• Die Aussendungsrede Kap. 10 kommt ohne Aussendung aus. Es geht also v.a. um die Inhalte der Rede, die auf die Adressaten des
MtEv zielen.
• In 28,19 wird der Jüngerbegriff auch für die nachösterlich gewonnenen Glaubenden gebraucht („zu Jüngern machen“).
Anders als bei Mk sind die Jünger nicht unverständig. Mehrfach wird ausdrücklich festgestellt, dass sie die Worte Jesu verstehen:
– 13,51: die Gleichnisrede
– 16,12: die Belehrung über Sadduzäer und Pharisäer
– 17,13: die Belehrung über Johannes den Täufer als wiederkehrender Elija
Sie stehen allerdings in der Gefahr des Kleinglaubens (6,30; 8,26; 14,31; 16,8).
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Kirche und Israel
Spannungen
• Einerseits wird die besondere Erwählung Israels wie in keinem anderen Evangelium betont und die Sendung Jesu auf Israel beschränkt (10,5f;
15,24).
• Andererseits richtet sich der nachösterliche Missionsauftrag auf „alle Völker“ (28,19). >
Grund für den Wechsel der Adressatenschaft
• Meist wird die Ausweitung in der Ablehnung Jesu durch Israel begründet, mit Hinweis auf 21,43 (Wegnahme der Basileia zugunsten eines
[offensichtlich anderen] Volkes), 27,25 (kollektive Übernahme der Verantwortung für Jesu Hinrichtung durch „das ganze Volk“ und 22,8f
(Ersatzgäste anstelle der eigentlich Geladenen).
 Aber: (1) Mt erzählt nicht von einer Ablehnung Jesu durch das Volk Israel, sondern durch die Führung des Volkes (z.B. 12,14; 26,3f.57)
und durch die Stadt Jerusalem (z.B. 2,3; 16,21; 23,37).
(2) In 27,25 wird diese Differenzierung nicht aufgehoben. Eine Ablehnung durch „das ganze Volk“ (im Sinne Israels) ist szenisch nicht
darstellbar. Mt tritt aber nicht durch eine Pause aus der Erzählung heraus. „Das ganze Volk“ bezeichnet die zuvor genannte Volksmenge.
Nicht Israel hat seinen Messias abgelehnt, sondern die Einwohner Jerusalems. So ist auch das Strafgericht auf Jerusalem konzentriert
(22,7; 23,37f).
• Der Grund für den Wechsel ist in der Christologie des Mt zu suchen (K. Backhaus; M. Konradt). Der Einsetzung in universale Macht (28,18)
entspricht die Sendung der Jünger zu allen Völkern.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Zur Stellung Israels
• Die universale Ausrichtung der nachösterlichen Mission deutet, wenn christologisch begründet, nicht die Verwerfung Israels an.
• Die Sendung zu den „Städten Israels“ (10,23) dauert bis zur Parusie.
• Die Gestalt des Gottesvolkes verändert sich aber durch das Hinzukommen der Heiden. Das Christusbekenntnis erhält nun
entscheidendes Gewicht. Das erwählte Volk soll sich aber, wie auch die Heiden, zu seinem Messias bekennen.
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium VIII – Ethik
Die Bedeutung des Handelns
Von der ersten bis zur letzten Rede Jesu wird die Bedeutung des Handelns eingeschärft:
• Bergpredigt mit dem Abschluss in 7,21-27
• Grundsätzliche Gerichtsaussage in 16,27 >
• Gleichnis vom hochzeitlichen Gewand (22,11-14) vor dem Hintergrund des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen gelesen
(13,24-30.36-43)
• Große Endgerichtsszene in 25,31-46
Jesus und die Tora
Drei Aussagelinien sind in dieser Frage zu entdecken:
• Die weitere Gültigkeit des Gesetzes wird festgestellt oder es wird von ihr ausgegangen (5,17-19; 23,3.23; siehe auch 11,13 im Vergleich
zu Lk 16,16a).
• Der Anspruch des Gesetzes wird in einer zusammenfassenden Sentenz gebündelt (7,12; 22,40).
• Manche Aussagen deuten eine Spannung zum Gesetz an:
– ausdrücklich: 5,21-48; 19,3-9
– implizit: 15,10-20
– christologisch begründet: 12,8 >
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Einleitung in das Neue Testament II
Evangelien und Apostelgeschichte

Die Spannungen zwischen diesen Aussagelinien lassen sich nur zum Teil durch die Aufnahme unterschiedlicher Traditionen
erklären. Das Gesetzesverständnis des Mt ist spannungsreich (aber nicht widersprüchlich) – erkennbar daran, dass er 5,17-19
als Überschrift über die Antithesen (5,21-48) setzt.
Wenn Jesus das Gesetz erfüllt, so besagt dies zweierlei:
• Einerseits richtet sich Jesus nicht gegen das Gesetz, sondern legt dessen eigentlichen Sinn frei;
• andererseits muss dieser Sinn erst freigelegt werden, er ergibt sich nicht aus dem bislang Gültigen, sondern aus der
Auslegung Jesu. Die geschieht nicht willkürlich, sondern orientiert am Gebot der Gottes- und Nächstenliebe – der
Zusammenfassung von „Gesetz und Propheten“ (22,40).
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Evangelien und Apostelgeschichte
Das Matthäusevangelium IX – Anlass und Zweck
• Der Anlass für die Abfassung des MtEv ist am besten in den Spannungen zu suchen, die das Werk kennzeichnen (v.a. Rolle Israels).
Dies weist auf einen Konflikt mit der jüdischen Umwelt, nicht zwingend mit dem Judentum.
• Ein völliger Bruch ist angesichts der bleibenden missionarischen Bemühung um Israel auszuschließen. Dies verhindert aber nicht eine
institutionell fassbare Trennung zwischen mt Gemeinde und Synagoge.
• Hinweise auf „Bruchstellen“: die Rede von „ihren Synagogen“ (4,23; 10,17; u.ö.). Von 23,34 her („eure Synagoge“) dürften die
Synagogen v.a. den Pharisäern zugeordnet sein. Die mt Gemeinde empfindet die von den Pharisäern geprägte Synagoge nicht mehr als
eigenen Ort.
• Dies wird bestätigt durch das äußerst negative Bild der Pharisäer im MtEv. Aus 23,2-3a lässt sich keine Übereinstimmung mit den
Pharisäern in Fragen der Gesetzesauslegung herauslesen.
• Die Tendenz, die Tora in einem Satz zu bündeln, kann man als Versuch deuten, eine Tora-Observanz der Heiden ohne Beachtung
ritueller Vorschriften zu begründen (Bruch mit Pharisäern).
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